Abba – Inneneinrichtung für das Gemüt

 

 

Alle Jahre wieder: Zu Weihnachten strahlte der Baum im Lichterglanz und das Fernsehen strahlte zur besten Sendezeit ‚Mamma Mia’ aus, einen Erfolgsfilm mit Starbesetzung für die ganze Familie: die Verfilmung des gleichnamigen Musicals mit den Hits von Abba.

 

Da ging mir ein Licht auf und plötzlich wurde mir klar, warum ich diese Musik nie mochte. Gut: ‚Chiquitita’ habe ich gerne gehört – es war das gute Gewissen der Band, alle Erlöse aus dem Song gehen an UNICEF. Doch mich hatte von Anfang an die Ahnung beschlichen, dass der Abba-Pop eine neue Art von Schamlosigkeit mit sich bringt.

 

Abba gelten als Nachfolger der Beatles. Ab 1975 waren sie weltweit die erfolgreichste Gruppe. Den Platz eins konnten die Fab Four immerhin noch fünf Jahre nach ihrer Trennung halten. Es wirkte wie ein natürlicher Fortschritt, nun waren neue Leute dran, die jünger und zugleich reifer waren. Die Beatles waren noch eine Bande von Jungs gewesen, die als Teenager angefangen hatten – Abba war ein Quartett mit Saubermann-Image, das aus zwei adretten Pärchen bestand. Mit den Beatles hörten wir die Stimme der Männer, mit Abba die Stimme der Frauen (auch wenn ein Mann ihnen die Texte in die Münder legte).

 

Eine Frauenstimme hatten die Beatles grundsätzlich abgelehnt, auch als musikalische Klangfarbe, das machten sie lieber selber, sie hatten ihre Quietschstimmen schon früh zu ihrem besonderen Kennzeichen gemacht. Das Fehlen einer Frau war ein Teil ihres Charmes: Vier stürmische Jungs waren auf der Suche nach der großen Liebe, looking for love. Als sie die gefunden hatten, war ihr Projekt am Ende. An der Unverträglichkeit von Yoko Ono und Linda McCartney zerbrach auch die Freundschaft von John und Paul, ein Wiederaufleben schien erst wieder möglich, als John kurzfristig von Yoko getrennt war, doch – wie wir inzwischen wissen -, kam es nicht mehr dazu.

 

Dabei war gerade diese Jugendfreundschaft der große Glücksfall gewesen: Schon 1957 hatten sich John und Paul kennengelernt, Paul war damals erst 15. Entsprechend war es bei Benni und Björn, die sich 1966 zum ersten Mal trafen, als Benny schon 20 war. Andere Zeiten – dasselbe Modell: Auch diese beiden Freunde waren ein Glücksfall für die Musikgeschichte, thank you for the music. Im Unterschied zu den Beatles betraten sie die Bühne der Popwelt nicht mit weiteren Kumpeln, sondern zusammen mit ihren festen Freundinnen, die sie wenig später heirateten.

 

Auch Abba löste sich nach etwa 10 Jahren auf. Da waren auch die Ehen geschieden. Ein Angebot, für den einmaligen Betrag von einer Milliarde Dollar noch mal gemeinsam aufzutreten, lehnten sie bisher ab. Anni-Frid ist nicht mal zu einem gemeinsamen Pressefoto – etwa anlässlich der Uraufführung des Musicals – bereit. Die Männer sind Freunde geblieben und machen weiter Musik.

 

Die Botschaft der Beatles war LOVE – so albern das gelegentlich wirkte mit den Irrungen und Wirrungen, die ein Teenager für Liebe hält. Sie entwickelten sich weiter zu einem allgemein verstanden Begriff von Liebe mit all you need is love als Weltformel. „Liebe ist möglich“ hätte Franz Alt womöglich gesagt, wenn man ihn um einen Kommentar gebeten hätte. Großes Vergnügen hat mir in dem Zusammenhang das Buch ‚Die Beatles und die Philosophie’ (herausgegeben von Michael und Steve Baur, erschienen bei Tropen bei Klett-Cotta) bereitet: Da wird einem bei einem Ausflug in die monistische Methaphysik von Schelling am Beispiel der Beatles etwas erklärt, das man sowieso schon irgendwie ahnte.

 

Doch dann war der Traum von Love & Peace vorbei, es wurde zur Kasse gebeten: Money, Money, Money. Darum geht es bei Abba – um nichts anderes, es siegte der ungezügelte Kapitalismus. Ihre Botschaft war NO MORE LOVE, sie besangen Trennungen und Niederlagen. Die haben sie selber vorgelebt. Dennoch bestreiten sie, dass ihre Songs autobiographisch sind. 1974 polterten sie mit ‚Waterloo’ in den Grand Prix Eurovision, wie es damals noch hieß. Das Reglement war geändert worden, es durften auch Gruppen auftreten, nicht nur Einzelinterpreten. Nun kam stürmischer Nordwind auf: So etwas Lautes hatte der seniorenfreundliche Chanson-Wettbewerb noch nie erlebt. Die Rabauken aus dem Norden beschrieben die Liebe als Schlachtfeld. Das tun sie auch in ‚The Winner Takes It All’, was sie selber als ihr bestes Lied ansehen, und das auch im Musical an zentraler Stelle steht.

 

Bei Abba werden stets die äußerlichen Merkmale gesehen: über 400 Millionen verkaufte Tonträger, über 600 Millionen Dollar hat allein die Verfilmung des Musicals eingespielt. Solcher Art sind die Wertungen, die über sie abgegeben werden, als ginge es immer noch darum, die Höchstpunktzahl zu erreichen. Doch worum geht es inhaltlich? Um es mal in großen Worten zu sagen: Es geht um die Entfremdung des modernen Menschen von seinem Wesen. Schlimm genug, dass der geplagte Zeitgenosse durch den Arbeitsprozess entfremdet wird, er wird es nun auch im Privaten. Der normierte Happy-Pop von Abba markiert eine fortgeschrittene Egalisierung, eine Gleichschaltung der Gefühle: Trauer klingt wie Freude – bzw. umgekehrt.

 

Teenager, die solche Songs ernst nehmen und darin nach Antworten suchen, merken es schnell: Da stimmt was nicht. „S.O.S.“ klingt nicht nach Hilferuf, sondern nach Partyspaß. One of us is crying hört sich an, als wäre alles in bester Ordnung. Breaking up is never easy, you know, but I have to go, singen sie, doch noch nie erschien es uns so einfach, I feel like I win when I lose, heißt es schon in ‚Waterloo’. Ja, was denn nun? Man hat den Eindruck, dass überhaupt kein richtiges Gefühl mehr hinter den Songs steht oder zum Ausdruck kommen soll. Auch kein Wille. Der einzelne, der noch etwas wollen könnte, taucht in einem unerbittlichen Regelwerk unter, eine wiederkehrende Metapher ist denn auch das Kartenspiel, the name of the game, keine Widerrede, rules must be obeyed.

 

Die Lieder von Abba strahlen eine spezifische Lieblosigkeit aus. Sie sind nicht rücksichtsvoll, nicht höflich, sie sagen nicht „Bitte“, während die Beatles noch please please me sangen und immer auch selber etwas geben wollten – like I please you – treten Abba einseitig fordernd auf, don’t go wasting your emotions, lay all your love on me, gib mir alles, gimme, gimme, gimme a man after midnight. Sie sind rabiat. Keine Kompromisse: vae victis! The winner takes it all.

 

Um 1975 wurde die Disco zum Austragungsort des Musikgeschehens. Da kam es auf Äußerlichkeiten an. Zu jedem Song von Abba gab es einen Videoclip mit neuem Outfit. Es war die hohe Zeit der ‚Dancing Queen’, der unnahbaren Schneekönigin. Die sich drehende Kristallkugel – das typische Requisit solcher Nächte – bestand aus Glassplittern des Spiegels aus dem Märchen von Hans Christian Andersen. Der Teufel hatte ihn zerschlagen, die Schneekönigin trug einen Splitter davon im Herzen. In dem Flackerlicht zählte vor allem der Anschein des Erfolgs; Abba war so erfolgreich, weil sie so erfolgreich waren; Abba war bekannt dafür, dass sie so bekannt waren. Ihren großen Durchbruch hatten sie jedoch erst als Revival, als Erinnerung. So konnte auch der Hörer, der das Zeug sowieso nie mochte, es als Hintergrundrauschen zum eigenen Leben wiedererkennen, und der Rückblick ist bekanntlich eine Sonnenuhr.

 

Eine ähnliche Entwicklung finden wir auch bei Cher, die Mitte der Sechziger im Duo als Sonny & Cher mit ‚I Got You, Babe’ die inoffizielle Hochzeitshymne der Hippie-Generation angestimmt hatte. Viele Paare wünschten sich das damals als „ihr Lied“, es war ja auch zu schön: Zwei gegen den Rest der Welt, sollte die doch klagen, dass die Haare zu lang sind, don’t let them say your hair’s too long. In ihrem Comeback wiederum besingt Cher eine Welt, in der die Gemeinsamkeit aufgekündigt ist, das neue Paar tritt nicht mehr gemeinsam gegen das Establishment an, sondern gegeneinander. Nun werden Forderungen gestellt, nicht etwa an die Welt, sondern an den Partner: are you strong enough? Es wird abgerechnet und die Konkurrenz ist schon abgeschätzt: Die andere Frau ist nicht halb so viel wert, she ain’t worth half of me.

 

Aus den herben Songs von Abba hat Catharine Johnson nun ein Libretto gebastelt; sie hat getan, was sie konnte, hat rausgeholt, was drinsteckte. Zwischenfrage: Soll man das überhaupt noch ernst nehmen? Ja. Matthias Matussek macht es richtig: Er sucht gerade in der populären Kultur nach Anzeichen, an denen er etwas über unsere Befindlichkeit erfährt, er fragt sich, was wir bereitwillig als Voraussetzung für eine Geschichte akzeptieren und nimmt sich dazu ‚Mrs. Doubtfire’ und ‚Ganz oder gar nicht’ vor. In beiden Filmen wird ein Ehemann ohne Grund von seiner Familie getrennt und kann ab sofort seine Kinder nicht mehr sehen. Offenbar finden wir so etwas normal. Selbstverständlich. Und welche Kröten schlucken wir bei ‚Mamma Mia’?

 

Wir sind nicht anspruchsvoll, wenn es um die Handlung von einem Jukebox-Musical geht. Dass da eine alleinerziehende Mutter alleine mit ihrer Tochter ein kleines Hotel in bester Lage in Kreta betreibt – geschenkt: Wir erwarten keine soziale Wirklichkeit, wir wollen Spaß und sehen Meryl Streep, wie sie in Latzhose – in der einen Hand den Akkubohrer in der anderen ein Glas Champagner – die Lieder von Abba singt, die dem Fernsehzuschauer womöglich erstmals in der vollen Verlogenheit zu Bewusstsein kommen, weil es Untertitel gibt.

 

Die Tochter dieser Frau in Latzhose will nun heiraten und wünscht sich, dass ihr Vater sie zum Altar begleitet. Doch wer ist das? Aus dem Tagebuch der Mutter, das sie heimlich ausgewertet hat, kommen drei Kandidaten in Frage. Die hat sie alle drei eingeladen in der Annahme, dass ihr dann ihr Gefühl sagt, welcher der richtige ist: ein etwas anderer Vaterschaftstest also. Es erinnerte irgendwie an die drei heiligen Könige – vielleicht weil gerade Weihnachten war. Die Mutter darf es jedenfalls nicht wissen. Soll ne Überraschung werden. Die drei Männer – unter ihnen auch James Bond – reisen ahnungslos an, als die Mutter ihre Ex-Lover erwischt, wirft sie die gleich wieder raus.

 

Sie will keinen Mann – einen Akkubohrer hat sie schon. Außerdem zwei beste Freundinnen. Die benehmen sich, als hätten sie etwas getrunken, das sie nicht vertragen; ihr Normalzustand ist betüddelt. Wenn man das Drehbuch um die stets wiederkehrende Phrase „Oh, mein Gott“ kürzte, gingen wahrscheinlich bis zu zehn Prozent des Textes verloren. Ja, wozu sind Väter da? – fragt sich die eine und antwortet gleich selber: Zum Zahlen. Die Dritte im Bunde klagt, dass ihr Vater ihr nach der dritten Scheidung den Geldhahn zugedreht hätte. Das wird ohne Ironie vorgetragen. Hier muss man nicht nach versteckten Botschaften suchen oder einen Philosophen bemühen – must be funny in a rich man’s world. Die Frauen haben einen Plan, in my mind I have a plan, if I get me a wealthy man, I wouldn’t have to work at all.

 

Die drei angereisten Männer machen alle einen wohlhabenden Eindruck – einer ist sogar auf einer Luxusyacht unter schwedischer Flagge angereist -, sie werden schnell Freunde. Sie reißen sich geradezu darum, Vater sein zu dürfen von der inzwischen reichlich verwirrten Tochter, die so blond ist wie ihre Mutter. Ihr Bauchgefühl gibt ihr keine eindeutigen Signale. Wer ist es denn nun? Das Ausschlussverfahren funktioniert nicht. Kann unter diesen Umständen die Hochzeit überhaupt stattfinden?

 

Nein, sie platzt. Das junge Paar entschließt sich in letzter Minute die Hochzeitsreise vorzuziehen und vielleicht später zu heiraten. Oder auch nicht. Stattdessen heiratet die Mutter Pierce Brosnan. Die Griechen in ihren hübschen, traditionellen Kostümen sind entzückt. So eine Hochzeit gibt es in ihrer kleinen Kirche auch nicht jede Woche. Die Werte von Ehe, Religion und von Traditionen sind sowieso nur Kulisse. Nun hat die Mutter doch noch einen Ehemann, der plötzlich merkt, dass er sie immer schon geliebt hat und vor ihr auf die Knie geht – mir völlig unverständlich. Und die Tochter hat nun einen sozialen sowie zwei weitere freiwillige biologische Väter. Alles bestens, oder?

 

Oder auch nicht: In einem Showdown zwischen den beiden Blondinen vor dem Altar blitzt kurz eine Tragik auf: Die Tochter verkündet in überraschender Deutlichkeit, dass sie auf keinen Fall will, dass ihre Kinder aufwachsen, ohne zu wissen, wer der Vater ist. Damit ihr Ausbruch aber nicht als Kritik an der Mutter verstanden werden kann, liegt sie ihr sofort wieder in den Armen. Offenbar hat sie einen Kippschalter, mit dem sie von „Nein, Mutter“ auf „Ja, Mutter“ umschalten kann: Mamma mia!

 

Dennoch. Damit markiert sie die Bruchstelle der „Generation Scheidung“ – im Film dadurch symbolisiert, dass plötzlich in einem alten Mosaik ein Sprung entsteht, aus dem Wasser sprudelt. So geht es nicht weiter. Die Kinder spielen nicht mehr mit. Das Verhalten der Eltern erscheint damit im neuen Licht. Auch in ‚Feuchtgebiete’ von Charlotte Roche wünscht sich die Heldin, dass die getrennten Eltern wieder zusammenfinden, es fällt nur nicht auf, weil sich andere Themen in den Vordergrund drängen; man möchte fast sagen, dass dieser Aspekt nicht gegen die aufdringlichen Passagen des Buches anstinken kann.

 

Die Schweden liefern uns für unsere Inneneinrichtung nicht nur Möbel mit niedlichen Vornamen, als sollten wir sie duzen, und Teelichter, die man gleich sackweise einkauft – sie sorgen auch für die Inneneinrichtung im weiteren Sinne: nicht bloß für unserer Wohnung, auch für innere Werte. Und sie können ziemlich aggressiv werden, wenn es darum geht, sich als Weltgewissen aufzuspielen und anderen ihre jeweils neuesten Maßstäbe aufzudrängen. Erst beglückten sie die Welt mit Vorbildern: Bildungsreform mit Kurzschuljahr und Mengenlehre, Teamwork bei Volvo, soziale Angleichung, gläserne Bürger, Verstaatlichung, liberale Gesetzgebung und vorauseilender Lockerung der Sitte, was sich bei uns in Soft-Pornos wie ‚Hurra, die Schwedinnen sind da’ niederschlug. Nun sind die wieder weg, und Schweden entwickelte sich zu dem, was Julian Assange das „Saudi-Arabien des Feminismus“ nennt.

 

2006 sollte die schwedische Fußball-Nationalmannschaft den Sommer-Traum der WM boykottieren, um damit gegen die Zwangsprostitution zu protestieren. Sie hatten dazu ihrerseits gerade ein neues Gesetz erlassen, das sie am liebsten auch bei uns einführen wollten und unterstellten dazu, dass es in Deutschland ca. 50.000 Zwangsprostituierte gäbe. Damit war gleichzeitig gesagt, dass wir hier keinen funktionierenden Rechtsstaat hätten und in einem moralischen Morast stecken. Sie können ziemlich unverschämt sein, diese Nordlichter. Dabei meinen sie es doch nur gut mit ihrem erhobenen Zeigefinger – als typisches choreographisches Element bei Abba ist es nicht nur der Finger, sondern gleich der ganze hochgesteckte Arm in ‚Super Trouper’ – und natürlich mit dem Leuchtfeuer des Nobel-Preises für das Gute in der Welt.

 

Zum Glück mussten die Fußballer letztlich doch nicht als Spielverderber in die Sportgeschichte eingehen. Es wäre auch ein Eigentor geworden. Sie wurden statt dessen ehrenvoll auf dem Fußballfeld geschlagen – mit 2 : 0. Als sie aus dem Turnier gekickt wurden, verabschiedeten sich die deutschen Fans mit der nach der Melodie von ‚Yellow Submarine’ improvisiert gesungenen Parole „Ihr seid nur noch Möbellieferant“. Und das ist auch gut so. Nur das, bitte! Gerne richten wir die Wohnung nach nordischem Geschmack ein, aber nicht die Seele. Also: Sörgarden und Edefors ja – Abba nein. Und Vorsicht bei weltanschaulichen Schwedenimporten. Unbedingt die Risiken und Nebenwirkungen beachten!

 

Übrigens: die familyCard von IKEA kann man auch als Single weiterbenutzen.

 

 

 

 

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