Leonard Cohen und der Krieg

 

 

 

Am Sonntag, dem 21. September wurde in einer Reihe von transkontinentalen Veranstaltungen (1)* der achtzigste Geburtstag von Leonard Cohen zelebriert. Er selber hat sich diesen Tag als Termin gesetzt, um wieder mit dem Rauchen anzufangen. In dem Filmporträt ‚Beautiful Losers’ (ich weiß nicht, wie lange das schon zurückliegt) lobt er Weiswein und Zigaretten als „wundervolle Drogen“, er tut es in einem durchaus ernsthaften Ton, als hätte er alles durchprobiert und könnte nun nach vorurteilsfreier Prüfung Weiswein und Nikotin als Testsieger empfehlen. Er scheint eine Menge ausprobiert zu haben, einschließlich Alkoholentzug, Zen Buddhismus und Askese.

Offenbar ist er auch im fortgeschrittenen Alter immer noch dabei, in Sachen Drogen, Kunst und Religion verschiedene Möglichkeiten auszutesten.

Einen unfreiwilligen Selbstversuch in Sachen Menschlichkeit hatte Leonard Cohen schon Anfang der siebziger Jahre gemacht, genau gesagt 1973, als er auf die Insel Hydra zurückgekehrt war und das Zusammenleben mit Frau und Kind nicht mehr ertragen konnte (er spricht von einem „Vorhang aus Rasierklingen“, in einem seiner Songs heißt es lakonisch „I live here with a woman and a child, the situation makes my kind of nervous“), er wurde dermaßen kribbelig, dass er der Versuchung nicht länger widerstehen konnte, endlich an einem richtigen Krieg teilzunehmen.

Das wollte er immer schon. Er wollte es schon, als er Anfang der sechziger Jahren kurz vor der Invasion in der Schweinebucht nach Kuba aufbrach, um da eine „Begegnung mit dem Tod“ zu haben, wie er in einem noch älteren Dokumentarfilm erklärt (an den Titel erinnere ich mich jetzt nicht, ich weiß aber noch, dass er in Schwarzweiß ist). Damals hatte seine Mutter hinter ihm her telefoniert, er konnte gerade noch rechtzeitig ausreisen.

Und nun? Wie würde es ihm in seiner, wie er sagt, „mythischen Heimat“ ergehen, wo er schon Konzerte gegeben hatte und wo sich gerade der Jom-Kippur-Krieg anbahnte? In seiner unveröffentlichten Schrift ‚The Final Revision of My Life in Art’ erklärt er, warum es ihn geradezu unwiderstehlich dahin zog: „ … zum Teil, weil es so schrecklich zwischen uns war, dass ich lieber gehen und ägyptische Kugeln mit meinem Körper aufhalten wollte.“

Er nahm Kontakt auf mit dem Sänger Sholomo Semach, der damals bei der Luftwaffe diente, und bat ihn, irgendetwas zu finden, wo er sich nützlich machen konnte. Zusammen mit anderen stellten sie eine kleine Truppe von Unterhaltungskünstlern zusammen, die für die Soldaten in Raketenstellungen, Panzerstellplätzen und Lagern spielte. Die Konzerte waren „formlos und sehr intensiv“, die Künstler wurden einfach mit Taschenlampen beleuchtet. „ … für einen oder zwei Augenblicke“, notierte Cohen, „hält man sein Leben für sinnvoll. Und Krieg ist wundervoll.“ (2)*

Die Künstler überquerten den Suez-Kanal mit Hubschraubern und gaben ein Konzert auf dem Hangar eines Flughafens, der zuvor unter ägyptischer Kontrolle war. Da war es aber nicht so sehr der herzliche Zuspruch der Soldaten, der Cohen berührte, sondern das Elend des Kriegs, den er gerade erst als „wunderbar“ bezeichnet hatte. Er konnte nicht an sich halten, er musste haltlos weinen, als er die vielen verletzten Soldaten sah. Jemand tröstete ihn und bemerkte, dass es alles Ägypter wären. Cohen fühlte sich erleichtert.

Nicht lange.

Fast im selben Moment erschrak er über sich selbst. Was war da gerade mit ihm passiert? Wieso konnte sein starkes Mitgefühl einfach auf „Off“ geschaltet werden, als hätte er einen verborgenen Kippschalter?

Hatte er mit dem Gefühl der Erleichterung nicht zugleich etwas grundlegend Menschliches verloren? Er war „tief verstört“ über die Erfahrung, die er da gerade machen musste.

Wie unzuverlässig waren doch die Gefühle – „I don’t trust my inner feelings. Inner feelings come and go“! Wie leicht konnte einem besonders empfindlichen Menschen wie ihm gerade das, was ihn auszeichnet – nämlich sein Mitgefühl für andere – abhanden kommen!

Er selber hatte die verbindende Menschlichkeit immer wieder beschworen! In ‚Passing Through’ heißt es, dass – egal ob Ami, Russe, Weißer oder Schwarzer – wir alle Menschen sind, das allein diese Zugehörigkeit zählt, wir gehören alle zusammen, denn wir sind alle sterblich, „we’re all on one road and we’re only passing through“. Und nun das! Wie sollte er das verstehen?

War Menschlichkeit etwa gar nicht unser höchstes Gebot? Konnte eine Feindschaft, die womöglich nur vorübergehend war oder auf einem Missverständnis beruhte, die Menschlichkeit ausstechen und sich in der Rangfolge unserer Wertmaßstäbe unbemerkt auf die Pole-Position schmuggeln? Gehörte die sonst so hoch geschätzte und viel beschworene Menschlichkeit womöglich zu dem Ballast, den wir als erstes über Bord werfen, wenn es ernst wird? War „Mitleid“ nur ein Wort zum Sonntag?

In dem Film ‚Bird On A Wire’, der während Cohen-Tournee des Jahres 1972 entstanden ist, wird ununterbrochen geraucht. Es ist ein rührendes Dokument der 70er Jahre. Da gab es noch lange Haare und Liedermacher. Der Film ist so langweilig wie Musikfilme sind und so bewegend wie die Musik von Cohen ist – wenn man sie mag. Es passiert nicht viel. Es gibt Pannen, Pleiten und Applaus. Gegen Ende des Films zitiert Cohen bei seinem Konzert in Jerusalem die Kabbala: „Wenn Adam und Eva sich entzweien“, sagt er, „dann sitzt Gott nicht mehr auf seinem Thron“.

 

 

fussnote

 

 

 

Fußnoten

*(1)
In Berlin fand in der überfüllten Passionskirche ein Geburtstagskonzert statt, bei dem die CD ‚Poem – Leonard Cohen in Deutscher Sprache’ vorgestellt wurden.

Als ich einer Freundin davon erzählte, sagte sie nur „Ihhh!“ Ich kann das gut nachvollziehen. Ich hatte auch meine Bedenken, als ich lesen musste, dass ‚The Gypsy’s Wife’ mit ‚Die Frau des Wanderers’ übersetzt wurde.

Es war aber doch nicht so schlecht. Manfred Maurenbrecher war sogar richtig gut. Er hatte sich die programmatischen Lieder vorgenommen (‚Anthem’, ‚Heart With No Companion’) und brachte damit eine schöne Ernsthaftigkeit in die lockere Runde. Da spürte man nicht nur etwas von dem ungewöhnlichen Vokabular in Cohens Lyrik, sondern auch etwas von seiner Gebrochenheit („broken“ kommt bei Cohen vermutlich so oft vor wie „dunkel“ bei Biermann). Wenn es bei ihm statt „cradle still unfilled“ heißt, dass in der Wiege „nur Sand“ ist, dann ist das richtig so. So geht’s. Die Texte müssen bei einer Übertragung neu gestaltet und ergänzt werden. Sie brauchen einen eigenwilligen, beherzten Zugriff (den sich wahrscheinlich niemand zutraut). Es war jedenfalls ein echter Lichtblick.

Auch Nina Hagen war toll und brachte mit ihrer Version von ‚By The Rivers Dark’ die richtige Dosis Düsternis auf die Bühne.

Aber sonst? Cohens Feinheiten fielen weg, seine Unverschämtheiten ebenso. Es gibt in seiner Poesie drei Zutaten, die immer wieder verstören und die ich mir in einem deutschen Lied nicht so recht vorstellen kann. Es sind aber just diese drei Zutaten, die seine Lyrik hervorheben und zur Weltliteratur machen: die – erstens – unverschämte Erotik und das – zweitens – tiefe Interesse an Religion („remember when I moved in you and the holy dove was moving too … halleluja“) und die – drittens – Faszination für das Militärische („guided by the beauty of our weapons … first we take Manhattan“).

 

** (2)
Krieg ist also wunderbar. Es hat mich immer geärgert, dass Cohen diesen Hang zum Militärischen hat, dass er beispielsweise seine Band „Army“ nannte, sich selbst als „Field Comander“ sieht und Krieg „wunderbar“ findet.

Er ist nicht einzige. Bei Georg Orwell in ‚Mein Katalonien’ steht es auch: Krieg ist wunderbar. Das wollte ich da nicht lesen. Das steht da aber. Außerdem wird auch bei Orwell dauernd geraucht. Was soll ich dazu sagen – als Pazifist? Ich könnte außerdem Nietzsche zitieren. Oder soll ich lieber so tun, als gäbe es solche Stimmen gar nicht? Und wenn wir sie überhören, dann haben wir Frieden – oder wie? Viele tun mit Hingabe so, als gäbe es Krieg überhaupt nicht. Oder als wäre es bloß eine reine Männerveranstaltung, die man schwänzen sollte.

Für solche Fälle empfehle ich Cora Stephans ‚Das Handwerk des Krieges’, das ich gerne und mit großem Gewinn gelesen habe. Es geht mit den Griechen los, mit genau den Schlachten, von denen ich am humanistischen Gymnasium die Daten auswendig gelernt habe. Ich kann es nicht so schön ausdrücken wie es Cora Stephan getan hat, aber so wie ich es verstanden habe, waren die Schlachten damals so etwas wie Elfmeterschießen. Sie wurden geschlagen, um damit eine Entscheidung herbeizuführen. Dann war Schluss. Das „Handwerk“ oder auch die „Kunst“ des Krieges bestand gerade darin, den Krieg einzuhegen und zu begrenzen.

Es gibt in ihrem Buch faszinierende Beispiele vom Bellum Romanum, von edlen Rittern, vom Civil War bis hin zum Ersten Weltkrieg. Sie führt dabei zahlreiche Belege aus der Literatur an, vertraut aber keinem einzigen dieser Texte und fragt selbst noch einmal nach, wo andere vor der Autorität des Namens kuschen würden. So kommt ein reichhaltiges, kritisches Gesamtbild zustande, in dem es auch um die Bedeutung der Männerbünde geht und um die Wahrheit über Testosteron.

Für 2,99 Euro als kindle-Buch ist es ein echtes Schnäppchen. Nie war es so wertvoll wie heute, möchte man sagen, um den bekannten Werbespruch zu verwenden und abzuwandeln. Das Buch ist umso wertvoller, weil z.Zt. ein anderes Standardwerk zu dem Thema, nämlich ‚Frauen und Krieg’ von Martin von Creveld nur erhältlich ist, wenn man tief in die Tasche greift und das Buch antiquarisch erwirbt.

Die Bücher des Militärexperten von Creveld wurden in diverse Sprachen übersetzt; in Deutschland sind sie besonders umstritten. Martin von Creveld ist Jude. Schon in den dreißiger Jahren wurden seine Vorlesungen von radikalen Studenten, denen seine Erkenntnisse nicht nationalsozialistisch genug waren, boykottiert und er wurde aus dem Land gejagt – nein, Quatsch: Seine Vorlesungen wurden im Jahre 2011 gestört und abgesagt, weil er nicht feministisch genug war. An der Uni in Trier.

Noch ein paar Buchtipps:
Die Episode von Cohens unfreiwilligem Selbstversuch habe ich gelesen in: Ira B. Nadel ‚Das Leben Leonard Cohens. Various Positions’, Ulstein 1999

Ich will nicht meckern. Es gibt einen guten literarischen Neustart der Texte von Cohen, den Wolfgang Farkas für den Verlag Blumenbar besorgt hat. Für das ‚Buch der Sehnsüchte’ hat er gleich neun Übersetzer – darunter Wolf Wondraschek und Carl Weissner – angeheuert, was gut zu einem Buch passt, das wie eine Wundertüte oder wie eine Lose-Blatt-Sammlung daherkommt.

Damit wird der Literatur von Cohen ein angemessener Auftritt ermöglicht, er ist nicht länger ein seltsames Pop-Phänomen aus alten Tagen, ein liebenswerter Oldie, den man bei Zweitausendeins zu herabgesetzten Preise kaufen kann. Auch das ‚Lieblingsspiel’ aus dem Jahre 1963 ist im selben Verlag neu erschienen. Es ist selbst nach mehrmaliger Lektüre immer noch eines meiner Lieblingsbücher, aber das liegt womöglich daran, dass ich das berühmtere ‚Schöne Verlierer’ nicht so mochte.

 

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